Donnerstag, 19. Juli 2007

Shakespeare, Aristoteles und die Gabel

Shakespeare... ja, das war schon ein ganz Großer, auch wenn man nicht weiß, wer genau er eigentlich war. Ganz sicher nicht der Erste, der über die Niederungen des Daseins lamentiert hat, aber die Art, wie er es tat, hatte Klasse. Man liest seine Werke und wundert sich, wie naiv menschliches Leben doch sein kann. Und eh man sich's versieht, steckt man selber inmitten eines klassischen Herzschmerzdramas und benimmt sich womöglich noch primitiver als selbst der Godfather of Drama es hätte erdenken können.

Ungefähr so wie die Philosophen im gleichnamigen Problem. Sie sitzen an einem runden Tisch nebeneinander und haben jeder je eine Gabel zwischen sich. Dann bestellen alle (!) Spaghetti (!) - vermutlich handelt es sich doch eher um arme und geschmackskastrierte Philosophiestudenten - und stellen fest, dass ja jeder 2 Gabeln benötigte, um seine Pasta dem eigenen Verdauungssystem zuzuführen. Glücklicherweise sind Philosophen, selbst solche, die es erst noch werden wollen, für ihr ständiges Bedürfnis nach Kommunikation bekannt. Die Mahlzeit kann also beginnen. Denn immer, wenn zwei Gestalten dieser illustren Runde speisen, sind die drei anderen in erhitzte Debatten vertieft (vermutlich über die teleologischen Dogmen in Hegels dichotomer Geschichtstheorie, oder über metaphysische Elemente in der Phänomenologie des Geistes) und benötigen daher ihre Gabel nicht. Sollten aber jemals zwei nebeneinander sitzende Gedankenakrobaten auf die Idee kommen, zur gleichen Zeit ihren abgemagerten Körper und den viel zu vollen Kopf vor dem Verhungern bewahren zu wollen, werden sie beide nach der zwischen ihnen liegenden Gabel greifen und sich gegenseitig blockieren.

Während die Beinahe-"Liebhaber der Weisheit" in unserem Gedankenexperiment aber nun wohl auf die Frage der Verteilungsgerechtigkeit bei Aristoteles zu sprechen kommen werden, und darüber das Essen wieder vergessen, wird im richtigen Leben hier ein kaum lösbarer Konflikt auftreten. Wen hier der Hunger packt, der greift auch zu und wird folglich schnell handgreiflich. Noch schlimmer wird es, wenn die Gabel plötzlich, wie in einer Sommernachtstraumfabel, einen eigenen Willen entwickelt und vor der Entscheidung für die Ernährung des einen oder des anderen Magens steht. Der GAU wäre dann die Feststellung der Gabel, sich schon aus Prinzip nicht als bloßes Werkzeug der Befriedigung niederer Bedürfnisse verstehen zu wollen, sondern, beispielsweise aus Gründen fast schon archaischer Moralitäten, eher dem Esser zugehörig zu sein, der die Gabel zu seiner Rechten zu liegen hat, der aber eigentlich schon fast gesättigt scheint. Philosophen sind ja nicht für ihren gesunden Appetit bekannt.

Damit bauen sich Dilemmata auf, die selbst Aristoteles nicht lösen könnte, denn die Gabel als Allgemeingut zu definieren würde ja an ihrer begrenzten Verfügbarkeit nichts ändern. Es könnte nur desillusioniert und enttäuscht festgestellt werden, dass der Tisch zwar voller Gabeln ist, aber nie liegen sie da, wo man sie braucht. Und Kellner kommen prinzipiell zu spät, sind unhöflich und inkompetent...

Freitag, 1. Juni 2007

Das Trolley-Problem


Eine kurze Suche nach möglichen Titeln für diesen Blog führte mich unter anderem zu - wie sollte es heutzutage anders sein - wikipedia. Und dort stieß ich auf ein interessantes Gedankenexperiment, etwas, womit ich mich an dieser Stelle gern häufiger beschäftigen werde und wozu ich jeden Interessierten einladen möchte.

Das Gedankenexperiment heißt "Das Trolley-Problem" (ob jeder es unter diesem Namen kennt, weiß ich nicht, aber es ist ein aus Literatur, Star Trek-Episoden und dergleichen weithin bekanntes Problem). Hier geht es darum, wie sich ein Mensch entscheidet, der vor die Wahl gestellt wird, mit einer Weichenstellung entweder eine Gruppe von 5 Personen vor einem heranfahrenden Trolley zu retten und dafür den Tod einer Einzelperson in Kauf zu nehmen, oder genau umgekehrt zu verfahren. Faszinierender- (oder sollte man sagen erschreckender-?) weise wählten bislang offenbar die meisten Probanden bei diesem Test den Tod der Gruppe - das Individuum steht uns eben näher als die anonyme Masse.

Man kann jetzt lang und breit über das Für und Wider eines solchen Gedankenexperiments streiten (wer von uns könnte tatsächlich sagen, wie er sich in einer solchen Situation verhält?) und darüber debattieren, was dies für die menschliche Ethik bedeutet. Das wird aber mit Sicherheit schon ausgiebig getan und muss hier nicht fortgesetzt werden, es sei denn, es wirft sich sonst jemand vor den Zug (was einzeln offenbar kein Problem wäre, aber bei größeren Gruppen zu falschen Weichenstellungen führen würde). Interessant ist aber die Frage, ob wir uns eigentlich nur in Bezug auf Menschen derart unlogisch verhalten.

Dazu ein Sonett (Nr. 90) von Shakespeare:
Then hate me when thou wilt; if ever, now;
Now, while the world is bent my deeds to cross,
Join with the spite of fortune, make me bow,
And do not drop in for an after-loss:
Ah! do not, when my heart hath 'scaped this sorrow,
Come in the rearward of a conquered woe;
Give not a windy night a rainy morrow,
To linger out a purposed overthrow.
If thou wilt leave me, do not leave me last,
When other petty griefs have done their spite,
But in the onset come: so shall I taste
At first the very worst of fortune's might;
And other strains of woe, which now seem woe,
Compared with loss of thee, will not seem so.

Sinngemäß besagt dieses Gedicht, dass das lyrische Ich von einem unbekannten Adressaten verlangt, dieser oder diese möge, wenn es denn ohnehin sein müsse, zu den schon gegebenen Sorgen des lyrischen Ichs auch noch das hinzufügen, was es vom Adressaten zu erwarten befürchtet. Und zwar jetzt gleich, und nicht erst später, wenn aktuelle Probleme bewältigt scheinen. Also: Die Unbill soll nicht Stück für Stück und gut verteilt den Charakter langsam mürbe machen, sondern lieber gleich gebündelt und mit voller Härte auf das gebeugte Haupt niederschlagen. Ergo wird auch hier der Ärger lieber in der Masse gesucht, als in Einzelportionen.

Genauso gehe ich gerade vor. Da ich ohnehin schon mehr Arbeit habe als ich bewältigen will, verbummele ich den heutigen Tag reichlich sinnfrei vor dem Rechner, statt mich Stück für Stück dem Ärgernis von Hausarbeiten und ähnlichem zu widmen. Damit schiebe ich also die Tagesportionen an Stress wieder solange gegen einen Termin, bis ich davon wie von einer Lawine überrollt werde und die Hälfte gänzlich liegen bleiben muss. Auch hier führen letztlich fehlgestellte Weichen langsam aber zielstrebig in die Katastrophe und schuld ist letztlich nur das menschliche Faible für Quantität statt Qualität. In diesem Sinne...